Das Einfamilienhaus und neue Wohnkonzepte schließen sich nicht aus

   Presse Presse Stuttgart     06.07.2023

Neue Wohnformen, der kreative Umgang mit dem Gebäudebestand und der schonende Umgang mit Bodenressourcen – das waren die Schwerpunktthemen beim Baukultur Dialog Fellbach in der Musterhausausstellung Eigenheim und Garten am 5. Juli. Dabei zeigte sich, dass der Traum vom freistehenden Einfamilienhaus unverändert stark gewünscht wird, andererseits neue Wohn- und Baumodelle entwickelt werden. Der Holzfertigbau hat einige davon bereits realisiert, wie zum Beispiel das Tiny Haus, Reihen- und Kettenhäuser und Aufstockungen auf Bestandsgebäude.

Zu Beginn der Veranstaltung, die von der Bundesstiftung Baukultur Potsdam und der IBA’27 Stuttgart, organisiert wurde, führte die Geschäftsführerin der Ausstellungsgesellschaft Eigenheim und Garten Sevil Özlük das Publikum durch fünf der 54 Musterhäuser der Ausstellung in Fellbach. Beteiligt waren die Firmen Albert-Haus, Schwörer-Haus, Baufritz, Huf-Haus, und Bittermann & Weiss. Dort erhielten die Gäste jeweils eine kurze Einführung zu Haus und Firma. Dabei rückten die Stärken des Holzfertigbaus in den Vordergrund: flexible Grundrisse, serielle Vorfertigung, kurze Bauzeiten, hohe Energieeffizienz und überwachte Bauqualität. 

Die Vortragsreihe eröffnete die Fellbacher Baubürgermeisterin Beatrice Soltys. Sie beschrieb den Wettbewerb um Flächen zwischen Wohnen, Gewerbe und Landwirtschaft am Beispiel der Stadt Fellbach. Sie verwies darauf, dass angesichts der enormen Verdichtung der Innenstadt die Prioritäten dort liegen, wo es um Stadtgrün, die Rettung von Bäumen, Entsiegelung, und um die Schaffung von Kühle und Feuchtigkeit gehe. „Damit beschäftigen wir uns im verdichteten Stadtraum.“ Sie stellte zudem die Initiative „Landwirtschaft trifft Gewerbe“ vor, die auf einer Fläche von 110 Hektar die verschiedenen Bereiche zusammenbringen soll. Ziel sei die Schaffung übertragbarer Konzepte mit anderer Flächennutzung, weniger Verkehrsflächen, mehr Begrünung. Für Einfamilienhäuser stünden in Fellbach aktuell nur 5 Bauplätze zur Verfügung. „Wir entwickeln nur noch Geschosswohnungsbau“, betonte die Bürgermeisterin.

Aufstockung als Potenzial

Reiner Nagel, Vorsitzender des Vorstands der Bundesstiftung Baukultur, prognostizierte aufgrund der zu erwartenden demografischen Entwicklung, dass das Einfamilienhaus im Jahr 2040 „das billigste Wohnangebot, das es geben wird“ sein werde. Die Altersstruktur mit immer mehr älteren Menschen erfordere es, „in der Mitte“ zu bauen, weil dort die Infrastruktur wie Einkaufsmöglichkeiten oder Arztpraxen auf kurzem Wege erreichbar seien. Anstatt neue Baulandflächen auszuweisen, wie es 72 Prozent der Gemeinden in Deutschland immer noch praktizierten, plädierte er dafür, durch Aufstockungen von Einfamilienhäusern mehr Wohnraum zu schaffen. Die Aufstockung eines Einfamilienhauses bringe den größten Nutzen, nämlich die Verdoppelung der Wohneinheiten. Dank dieser baulichen Potenziale, die das Einfamilienhaus biete, sei es keineswegs ein „Schmuddelkind“. Nach Nagels Ansicht reicht es vollkommen aus, den Bestand in Sachen Energieeffizienz auf KfW 100 oder 85 zu sanieren. Nach seinem Eindruck begrüße die Bevölkerung diesen durchdachten Umgang mit dem Bestand. Seine Forderung an die Politik: „Wir müssen leichter umbauen können“. Die Vorschriften in puncto, Brandschutz- und Wärmeschutz, Abstand, Stellplätze, Schallschutz oder Reduzierung von Barrieren müssten überarbeitet werden.

In weiteren Vorträgen berichteten die Wissenschaftlerinnen Dr. Anja Reichert-Schick von der Wüstenrot-Stiftung und Prof. Christina Simon-Philipp von der Hochschule für Technik in Stuttgart aus ihren Forschungsprojekten. Sie sprachen sich für eine Transformation der Idee vom Einfamilienhaus aus hin zu einer intelligenteren Flächennutzung und zu mehr gemeinschaftlichen Wohnformen. Prof.Marcus Menzl, Soziologe an der Technischen Hochschule Lübeck, sprach sich dafür aus, die traditionellen Vorstellungen vom Einfamilienhaus nicht zu verteufeln, sondern das Interesse der Menschen in den „kreativ sanierten Bestand“ zu lenken. Angesichts der gesellschaftlichen Änderungen gehe es darum, neue Bau- und Wohntypologien zu entwickeln.

Verschiedene Lebenstwürfe berücksichtigen

In der anschließenden Podiumsdiskussion warnte Florian Schmid, Verkaufsleiter bei Schwörer-Haus, ebenfalls davor, den Menschen den Traum vom Einfamilienhaus mit Druck auszureden. „Ich habe noch keinen sagen hören: Ich wäre lieber im dritten Stock ohne Balkon aufgewachsen.“ Er verwies darauf, dass der Holzfertigbau nicht nur im Bereich Einfamilienhaus unterwegs sei, sondern längst auch andere Typen baue wie Kleinsthäuser, Aufstockungen und Modulhäuser. Er sprach sich dafür aus, in manchen Situationen auch den einen oder anderen Abriss in Erwägung zu ziehen. „Dann könnte ich drei Mal so viel energieeffiziente Wohnungen schaffen zum Festpreis.“

Sevil Özlük plädierte für eine stärkere Berücksichtigung verschiedener Lebensentwürfe und Haushaltsgrößen. Sie regte für die Musterhausausstellung an, es müssten auch Entwürfe für Singles, Paare und andere Zielgruppen gezeigt werden. Sie betonte zudem, dass der Dialog unter allen Beteiligten analog zu dem heutigen sehr wichtig sei, um bei der Transformation des Bauens und Wohnens den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu erhalten. Andreas Hofer, Intendant und Geschäftsführer der Internationale Bauausstellung Stuttgart IBA ’27, zeigte sich beeindruckt von der Kontinuität und handwerklichen Tradition im Holzfertigbau. „Wir müssen diese Ressourcen nutzen“, betonte er. Im Übrigen riet er dazu, den Menschen behutsam andere Wohnformen nahezubringen. „Wir können nicht an den Menschen vorbeibauen, wir müssen sie erreichen, das gute Beispiel leistet Überzeugungsarbeit. Das dauert, das regelt von Generation zu Generation der Markt.“